Rechtslage zum Ausschluss der Nachkommenschaft (c. 1101 § 2 i.V.m. c. 1055 § 1 CIC)
Tatbestandselemente
1. Ausschluss der Nachkommenschaft
Einerseits ist das Rechtsinstitut der Ehe als solches auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hin geordnet. Anderseits sind auch jene Ehen gültig, die etwa aus biologischen (z.B. Sterilität) oder spirituellen („Josefsehe“) Gründen kinderlos bleiben. Um in dieser Spannung feststellen zu können, wann eine Ehe wegen des Ausschlusses von Nachkommenschaft ungültig ist, hat die Judikatur mehrere Kriterien eingeführt.
a. Gegenstand des Ausschlusses
Es ist gibt kein Recht auf Nachkommenschaft. Durch die Eheschließung räumen sich die Gatten nur das Recht auf den Akt ein, der an sich geeignet ist, Nachkommenschaft zu zeugen. Ob daraus tatsächlich Kinder entstehen, ist unerheblich (vgl. Sterilität). Wer das genannte Recht ausschließt, schließt die Ehe ungültig.
b. Nichtverpflichtungswille – Nichterfüllungswille
Die Römische Rota unterscheidet, ob jemand das Recht selbst nicht übertragen will (Nichtverpflichtungswille) oder von der Ausübung des Rechts nur keinen Gebrauch machen will (Nichterfüllungswille; vgl. „Josefsehe“). Nur im ersten Fall ist die Ehe ungültig.
c. Dauernder – vorübergehender Ausschluss der Nachkommenschaft
Diese Unterscheidung hängt mit der vorgenannten eng zusammen. Der dauernde Ausschluss der Nachkommenschaft lässt einen Nichtverpflichtungswillen vermuten und macht die Ehe ungültig. Wenn jemand hingegen nur für bestimmte Zeit keine Kinder bekommen möchte (z.B. Familienplanung, verantwortete Elternschaft), so wird nur ein Nichterfüllungswille vermutet. Der bloß zeitliche Ausschluss richtet sich nicht dagegen, dass das Eheinstitut an sich auf Nachkommenschaft hin geordnet ist. Diese Vermutungen sind aber widerlegbar.
d. Einvernehmen zwischen den Partnern
Die Unterscheidung zwischen Nichtverpflichungs- und Nichterfüllungswillen ist oft schwierig. Manche Autoren stellen auf ein anderes Kriterium ab, nämlich darauf, ob die Ehegatten die Nachkommenschaft einvernehmlich ausschließen oder nicht. Schließt ein Gatte die Nachkommenschaft einseitig aus, so missachtet er das Recht des anderen und es besteht keine Willensübereinstimmung, die aber die Voraussetzung für das gültige Zustandekommen der Ehe wäre. Einigen sich hingegen beide auf den Ausschluss, so sei die Ehe gültig, gleich ob er dauernd oder nur vorübergehend ist. Daran ist richtig, dass nicht ein Gatte dem anderen einseitig ein Recht verweigern darf. Aber auch ein einvernehmlicher Ausschluss bleibt ein Ausschluss und richtet sich gegen das Wesen der Ehe.
e. Erziehung der Kinder
Die Lehre sieht auch die Erziehung der Kinder als Wesenselement der Ehe an. Fraglich ist aber, wie weit die Eltern dieser Pflicht selbst nachkommen müssen. Die Rota-Rechtsprechung hat dazu keine klare Linie vorgelegt.
2. Positiver Willensakt
Das Wesenselement muss durch eine faktische Betätigung des Willens ausgeschlossen werden. Bloße Untätigkeit des Willens – das Wesenselement wird weder positiv bejaht noch positiv ausgeschlossen – genügt nicht.
a. Ausdrückliche oder stillschweigende Intention
Positiver Willensakt heißt nicht ausdrücklicher Willensakt. Es ist unerheblich, ob der Vorbehalt ausgesprochen wurde, oder in anderen Äußerungen mit enthalten ist (z.B.: Jemand, der der Kirche fernsteht, sagt: „Ich lehne alles Religiöse ab“ → Ausschluss der Sakramentalität).
b. Aktuelle oder virtuelle Intention
Aktuell ist die Intention zum Ausschluss eines Wesenselements, wenn jemand z.B. bei der Befragung durch den Priester den Willen äußert, überhaupt keine Kinder zu wollen. Das kommt selten vor. Meist handelt es sich um eine virtuelle Intention: Der Nupturient hat den positiven Willensakt vor der Heirat gesetzt und ihn später nicht wiederrufen. So wird vermutet, dass er auch zum Heiratszeitpunkt wirksam war.
3. Ohne Bedeutung (allenfalls Indizwirkung siehe unten!)
Die Geburt von Kindern in der Ehe.
Beweiselemente
- Direkter Beweis: Dieser verläuft wie beim Ausschluss der Unauflöslichkeit.
- Indirekter Beweis: Auch hier müssen das Simulations- und das Heiratsmotiv gegeneinander abgewogen werden.
- Typische Simulationsmotive beim Ausschluss der Nachkommenschaft sind: Abneigung gegen Kinder; Furcht vor einer Schwangerschaft; Erbkrankheit
- Weitere Indizien: Konsequente Empfängnisverhütung während der ganzen Ehe, ethische Anschauungen des Nupturienten.
Sachverhalt
Aldo und Liviana[1]
Aldo wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Er war das zweite von zehn Kindern. Die Erinnerungen an diese Familiensituation sind so negativ, dass er eine Abneigung gegen Kinder entwickelt hat. Als Jugendlicher lernte er Liviana kennen, in die er sich gleich verliebte. Sie verlobten sich, aber schoben die Heirat wegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse immer weiter auf. Um seine Braut nicht zu verlieren und um in seiner Familie keinen Anstoß wegen der langen Verlobungszeit zu erregen, willigte er nach fünf Jahren schließlich doch in die Eheschließung ein, machte mit Liviana jedoch aus, dass sie auf Kinder verzichten, bis sich ihre finanzielle Lage gebessert hat. Der Pfarrer klärte das Paar beim Trauungsgespräch über die kirchliche Ehelehre auf, die sie aufgrund ihrer katholischen Erziehung aber ohnehin schon kannten. Sie heirateten und tatsächlich ging es ihnen nach einigen Ehejahren wirtschaftlich schon ziemlich gut, aber Aldo bestand noch immer auf dem Gebrauch von Verhütungsmitteln. Livianas Kinderwunsch wurde hingegen immer stärker und diese unterschiedlichen Auffassungen führten zu häufigem Streit. Schließlich zerbrach die Ehe an dieser Frage und Liviana reichte die Scheidung ein. Ein alter Freund von Aldo erzählte ihr dann, dass dieser ihm schon vor der Hochzeit anvertraut habe, überhaupt keine Kinder zu wollen, aber sich nicht traute, ihr dies zu sagen.
Lösung:
Ad 1a: Gegenstand des Ausschlusses
Aus dem Sachverhalt geht hervor, dass die Partner, als sie den Heiratsentschluss fassten, zugleich vereinbarten, auf Kinder zu verzichten. Ebenso geht hervor, dass beim ehelichen Verkehr immer Verhütungsmittel verwendet wurden. Da also vor der Eheschließung ein entsprechender Entschluss gefasst wurde und dieser seit der Hochzeit tatsächlich umgesetzt wurde, kann geschlossen werden, dass die Gatten sich im Zeitpunkt der Eheschließung, wirklich die ehelich Akte vorenthielten, aus denen Kinder hervorgehen können.
Ad 1b: Nichtverpflichtungswille – Nichterfüllungswille
Die schwierige Abgrenzung zwischen Nichterfüllungswillen und Nichtverpflichtungswillen beschäftigte die Rota auch im zugrundeliegenden Fall. Recht und Verpflichtung können gegeben sein, aber einfach kein Gebrauch davon gemacht werden. Es wird jedoch vermutet, dass das Recht auf die ehelichen Akte nicht überträgt, wer bei der Eheschließung den Anspruch erhebt, die Ausübung der Geschlechtsvereinigung auf natürliche Weise für immer zu verweigern. Dies führt zu der unter Punkt 1c zu behandelnden Frage.
Ad 1c: Dauernder – vorübergehender Ausschluss der Nachkommenschaft
Die Partner vereinbarten zunächst, nur solange auf Nachkommenschaft zu verzichten, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse die Sorge für Kinder nicht ermöglichen. Hierbei handelt sich um nur um einen vorübergehenden Ausschluss von Nachkommenschaft. Bei Aldo stellt sich jedoch die Frage, ob er in Wirklichkeit nicht doch einen dauernden Ausschluss meinte. Der Sachverhalt liefert hier widersprüchliche Angaben, die bei der Falllösung interpretiert werden müssen. Für den dauerhaften Ausschluss spricht, dass Aldo vor der Hochzeit einem Freund erzählt hat, überhaupt keine Kinder zu wollen, und dass er während der Ehe konsequent die Empfängnis verhütet hat, auch als der ursprünglich ins Auge gefasste Zeitraum, nämlich die Phase der schlechten finanziellen Lage, schon vorüber war. Dagegen spräche, dass er mit seiner Braut nur einen vorübergehenden Ausschluss vereinbart hat, doch lässt sich dies aufgrund der Umstände des Falles konsequent damit erklären, dass er Liviana nicht verlieren wollte, die er ja liebte, und er ihr deswegen nicht gestehen wollte, dass er auch später keine Kinder wolle. Durch diese Abwägung gelangt man zu dem Schluss, dass Aldo die Nachkommenschaft für immer ausschloss, Liviana aber nur für die erste Zeit. Damit ist auch Punkt 1b beantwortet.
Ad 1d: Einvernehmen zwischen den Partnern
Dem Sachverhalt nach gab es zwischen den Gatten eine Vereinbarung über den Ausschluss der Nachkommenschaft. Man kann sich fragen, ob der Ausschluss aber wirklich einvernehmlich war, da Liviana ja nur einen vorübergehenden, Aldo aber einen dauernden Ausschluss wollte. Für die Lösung des Falles ist diese Frage jedoch nicht erheblich, da es für das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes nicht darauf ankommt, ob der Willensvorbehalt im Einvernehmen gesetzt wurde oder nicht.
Ad 1e: Erziehung der Kinder
Die Frage der Erziehung von Kindern muss in diesem Fall nicht releviert werden, da bereits die Zeugung von Kindern ausgeschlossen wurde.
Ad 2a: Ausdrückliche oder stillschweigende Intention
Nach dem Sachverhalt wurde der positive Willensakt ausdrücklich gesetzt: Aldo gestand einem Freund, dass er überhaupt keine Kinder wolle.
Ad 2b: Aktuelle oder virtuelle Intention
Der positive Willensakt lag im Zeitpunkt der Eheschließung virtuell vor: Er wurde vor der Hochzeit ausdrücklich gefasst (siehe Punkt 2a) und danach nicht widerrufen, was aus der konsequenten Verwendung von Verhütungsmitteln, auch nach der Zeit der schlechten Vermögenslage hervorgeht.
Ergebnis
Damit sind alle notwendigen Voraussetzungen geprüft. Die vorliegende Ehe ist nichtig wegen Ausschlusses der Nachkommenschaft auf Seiten des Mannes. Ein verungültigender Ausschluss auf Seiten der Frau konnte hingegen nicht nachgewiesen werden.
Beweis:
Direkter Beweis
Der direkte Beweis gründet auf der Äußerung, die Aldo vor der Eheschließung gemacht hat, überhaupt keine Kinder zu wollen. Dabei handelt es sich um ein außergerichtliches Geständnis. Im zugrundeliegenden Fall gab es genügend Zeugen aus dem Freundeskreis von Aldo, die jenen Ausspruch bestätigen konnten.
Indirekter Beweis
Dieser Beweisweg spielte im zugrundeliegenden Urteil der Rota keine maßgebliche Rolle, soll hier aber dennoch ausführlicher skizziert werden:
Aldo hat seine Willenshaltung auch bei seiner gerichtlichen Einvernahme bekräftigt. Seine gerichtliches Geständnis wird von mehreren Indizien gestützt: Bei dem Simulationsmotiven ist zwischen der causa proxima und der causa remota zu unterscheiden. Als causa remota kann hier die grundsätzliche Abneigung Aldos gegen Kinder angesehen werden. Die causa proxima besteht in den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie würde zwar nur einen vorübergehenden Ausschluss der Nachkommenschaft nahe legen, doch zusammen mit den schlechten Kindheitserinnerungen ergibt sich doch eine plausible Erklärung für den dauerhaften Ausschluss. Die Heiratsmotive bestanden darin, dass Aldo Liviana wirklich liebte und er keinen Anstoß dadurch erregen wollte, dass die Verlobungszeit so lange andauert. Letzteres ist eher ein schwaches Heiratsmotiv, die Liebe hingegen ein stärkeres. Dennoch ist es plausibel, dass die Simulationsmotive für Aldo so ausschlaggebend waren, dass er bei aller Liebe zu Liviana auf keinen Fall Kinder wollte und daher zwar eine Ehe, aber eben eine Ehe ohne das Wesenselement der Nachkommenschaft schließen wollte.
Die Tatsache, dass Aldo die kirchliche Ehelehre bezüglich der Hinordnung auf Nachkommenschaft kannte, ist für den Beweisgang unerheblich.
[1] Der Übungsfall orientiert sich am Rota-Urteil coram Masala (28.2.1984), in: RR Dec 76 (1984) 152-155.