VfGH 3509

Staatsbürgerschaft. Beschwerdefrist, Zustellung. Das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit betrifft nur die religiöse Sphäre, nicht aber das Bekenntnis zu einer Sprach- oder Volksgruppe. Art. 19 StGG. bezieht sich nur auf inländische Volksgruppen. Das Recht auf Gleichheit steht nur österreichischen Staatsbürgern zu.

Erk. v. 12. März 1959, B 161/58.

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Sachverhalt:

Milan T., geboren am 2. November 1892 in Dalmatien, ehemals Dr. jur. und Rechtsanwalt: in Belgrad, hält sich seit 11. Juli 1944 —er kam als Fremdarbeiter in das ehemalige Deutsche Reich — in Österreich auf. Am 22. Juni 1956 gab er mit der Behauptung, er wäre derzeit in der Gemeinde Eisenstadt wohnhaft, gegenüber der Landesregierung von Burgenland im Sinne des § 1 des Gesetzes vom 2. Juni 1954, BGBl. Nr. 142, betreffend den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Volksdeutsche, die Erklärung ab, der Republik Österreich als getreuer Staatsbürger angehören zu wollen. Er behauptete in diesem Zusammenhang, daß die Bestimmungen des § 2 leg. cit. auf ihn zuträfen. Die Landesregierung von Burgenland hat hierauf mit Bescheid vom 5. Juli 1956 ausgesprochen, daß Milan T. im Sinne des § 3 Abs. 2 leg. cit. mit Wirksamkeit vom 22. Juni 1956 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben hat.

Im Zuge von Erhebungen, die über Ersuchen des Amtes der Burgenländischen Landesregierung von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland durchgeführt wurden, ergab sich, daß Milan T. anfangs Juli 1956 in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. Emil Sch., wohnhaft in Eisenstadt, Joachimstraße 11, erschienen ist, und diesen, den er aus der Zeit 1947-       1948 von der Wiener Universität her kannte, gebeten hat, ihn bei sich als Untermieter aufzunehmen, da es ihm durch Beziehungen zur Burgenländischen Landesregierung möglich sei, in Kürze die Österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Dr. Sch. vermietete an Milan T. ein leerstehendes Kabinett und meldete ihn am 2. Juli 1956 als Untermieter polizeilich an. Milan T. soll noch am gleichen Tag nach Wien zurückgefahren sein. Er hat sich jedenfalls bei Dr. Sch. nicht mehr blicken lassen, worauf dieser ihn noch im Juli wieder polizeilich abmeldete. Ein oder zwei Tage nach der Abmeldung (vermutlich am 25. Juli 1956) wurde Dr. Sch. vom Beamten der Burgenländischen Landesregierung Engen C. telephonisch angerufen und über den Grund der Abmeldung des Milan T. befragt. C. erklärte bei diesem Telefongespräch, daß Milan T. in Eisenstadt unbedingt polizeilich gemeldet sein müsse, ansonsten er niemals in den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft gelangen könne. Wie weiters erhoben wurde, hat Eugen C. daraufhin Milan T. am 26. Juli 1956 bei sich in Eisenstadt Joachimstraße 19 als Untermieter polizeilich angemeldet, doch soll sich auch dort T. niemals aufgehalten haben. Jedenfalls ist Milan T. im Wohnhaus des Eugen C. und in dessen Umgebung gänzlich unbekannt geblieben. Die Landesregierung von Burgenland hat daraufhin mit Bescheid vom 10. September 1957 gemäß § 69 Abs. 3 AVG. 1950 von amtswegen die Wiederaufnahme des Verfahrens der Staatsbürgerschaftsverleihung an Milan T. wegen des dringenden Verdachtes, daß diese auf Grund falscher Angaben verfügt und angeordnet, daß das Ermittlungsverfahren vom Zeitpunkt, der Abgabe der Erklärung (22. Juni 1956) an neu durchzuführen ist.

Im Zuge des wiederaufgenommenen Verfahrens behauptete Milan T. in seiner Eingabe vom 9. Dezember 1957 neuerlich, Volksdeutscher zu sein, über 20 Jahre als Mitglied der kulturellen Organisation der deutschen Volksgruppe „Kulturbund”, Zweig Belgrad, angehört zu haben und darüber eine schriftliche Bestätigung zu besitzen. Außerdem machte er für seine deutsche Volkszugehörigkeit einen Zeugen, der ihn persönlich kenne, namhaft. Zur Frage des Wohnsitzes in Eisenstadt führte Milan T. aus, daß er Vertreter der Windischgrätz’schen Weinkellereien sei, ihn sein Beruf durch ganz Österreich führe und er in mehreren Orten seinen Wohnsitz haben müsse, weil ihm nur dadurch die erfolgreiche Ausübung seiner Vertretertätigkeit möglich sei. Als er sich im Jahre 1956 in Eisenstadt angemeldet hat, habe er den „animos domiciliandi” in Eisenstadt besessen. Er sei auch jetzt in Eisenstadt (Esterhazystraße, 19, Gasthaus Wimmer) angemeldet und habe nach wie vor die feste Absicht, auch dort seinen ordentlichen Wohnsitz zu haben.

Die Landesregierung von Burgenland erließ am 18. März 1958 einen Bescheid, mit welchem die von Milan T. am 222. Juni 1956 nach § 1 des Gesetzes vom 2. Juni 1954, BGBl. Nr. 142, abgegebene Staatsbürgerschaftserklärung im Sinne des § 3 Abs. 2 leg. eit. im Zusammenhang mit § 13 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949, BGBl. Nr. 276, nicht zur Kenntnis genommen wurde.

Zur Begründung des Bescheides wurde neben einer kurzen chronologischen Darstellung des Sachverhaltes ausgeführt, daß Milan T. in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 1957 zwar behauptet habe, daß er Volksdeutscher sei, und daß er auch in Eisenstadt einen ordentlichen Wohnsitz hätte, weshalb er auf die Erstattung der Anmeldung einen Rechtsanspruch hätte, und die Burgenländische Landesregierung zur Entgegennahme der Erklärung zuständig wäre, daß aber alle diese Behauptungen durch einen vorliegenden Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundes- land Burgenland widerlegt wären, so daß schon aus diesem Grunde(Der Bescheid wurde Milan T. nach seinen eigenen, vom Verfassungsgerichtshof überprüften Angaben am 18. Juni 1958 zugestellt.)

Am 18. Juli 1958 brachte Milan T. gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 18. März 1958 beim Verfassungsgerichtshof eine auf Art. 144 B.-VG. gestützte Beschwerde wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ein.

Entscheidungsgründe:

1. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich zunächst mit der Einwendung der belangten Behörde zu befassen, daß die Beschwerde verspätet eingebracht worden sei. Tatsächlich erliegt in den Verwaltungsakten ein Rückschein mit Poststempel vom 20. März 1958 und einer mit 21. März 1958 datierten Unterschrift. Die vom Verfassungsgerichtshof durchgeführten Erhebungen haben jedoch ergeben, daß die Unterschrift auf diesem Rückschein nicht vom Beschwerdeführer stammt. Der Beschwerdeführer hat tatsächlich erst nach seiner Entlassung aus der Haft am 18. Juni 1958 vom angefochtenen Bescheid Kenntnis erhalten, so daß die am 18. Juli 1958 überreichte Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.

2. Nach Art. 14 Abs. 1 StGG. ist die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit jedermann gewährleistet. Der Beschwerdeführer meint nun, daß der Umstand, daß die belangte Behörde sein Bekenntnis zur deutschen Sprache als nicht genügend für die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit angesehen hat, ihn in seiner Gewissensfreiheit verletzt habe. Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen der Art. 14 bis 16 StGG. ergibt sich aber, daß die Glaubens- und Gewissensfreiheit lediglich die religiöse Sphäre betrifft, nicht aber auch das Bekenntnis zu einer Sprachgruppe oder zu einer Volkstumsgruppe. In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 13. Mai 1929, Slg. Nr. 1207, ausgesprochen, daß aus dem Begriff der Glaubens- und Gewissensfreiheit hervorgeht, daß es sich bei Beschwerden wegen Verletzung dieser Rechte um eine Frage des Religionsbekenntnisses handeln muß, und er hat sogar eine Verletzung dieses Grundrechtes dann als nicht möglich angesehen wenn es sich um eine Weltanschauung im allgemeinen handelt. Eine Verletzung des Art. 14 StGG. kann dann aber umsoweniger darin gelegen sein, daß eine Verwaltungsbehörde die behauptete deutsche Volkszugehörigkeit nicht als gegeben annimmt.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob Art. 19 StGG. heute überhaupt noch eine normative Bedeutung hat; denn keinesfalls räumt er einem Ausländer ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht darauf ein, daß die Verwaltungsbehörde ein Bekenntnis zu einer bestimmten Sprache in den Fällen, in denen die Sprachzugehörigkeit rechtlich von Bedeutung ist, ungeprüft hinnehmen muß. Die Bestimmungen des Art. 19 StGG. betreffen vielmehr ganz andere Fragen.

Abs. 1 legt die Gleichberechtigung aller Volksstämme des Staates und ihr Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Nationalität und Sprache fest und kann sich daher schon deshalb nur auf inländische Volksgruppen beziehen. Abs. 2 regelt die Gleichberechtigung der landesüblichen Sprache und Abs. 3 regelt Schulfragen; beide Absätze betreffen also Angelegenheiten, die mit der Frage der Sprachzugehörigkeit einzelner Personen überhaupt in keinem Zusammenhang stehen. Darin, daß die belangte Behörde die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers, eines Ausländers, zur deutschen Sprache nicht als gegeben angenommen hat, kann daher niemals eine ‘Verletzung des Art. 19 StGG. gelegen sein.

4. Daß schließlich der Beschwerdeführer im Hinblick auf Art. 7 B.-VG. nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt worden sein kann, ergibt sich schon daraus, daß der in dieser bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung normierte Gleichheitsgrundsatz sich seinem eindeutigen Wortlaut nach nur auf Bundesbürger, nicht aber auch auf Ausländer bezieht.

5. Der Verfassungsgerichtshof hatte deshalb auch aus dem Gesichtspunkt des Art. 19 StGG. und des Art. 7 B.-VG. keine Bedenken gegen die ‘Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes vom 2. Juni 1954, BGBl. Nr. 142.

6. Der Beschwerdeführer ist sohin in keinem der geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt norden. Da im Verfahren auch keine Umstände hervorgekommen sind, die auf die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hinweisen würden, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.