VfGH 3657

Die Erhebung von Kirchenbeiträgen ist eine innere Angelegenheit der Religionsgesellschaften. Die Kirchenbeitragsordnungen sind daher keine Verordnungen. Bedeutung der staatsaufsichtlichen Genehmigung.

B. v. 15. Dezember 1959, V 11/59.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Sachverhalt:

Das Landesgericht für ZRS. Wien hat über eine Berufung der Lieselotte L., Wien, III., gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zu entscheiden, mit dem die Genannte auf Grund einer Klage des Verbandes der Wiener evangelischen Pfarrgemeinden AB. Wien, 1., Schellinggasse 12, zur Bezahlung von Kirchenbeiträgen in der Höhe von S 540 — für die Jahre 1955 bis 1957 verurteilt wurde. Es hat nun Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des § 4 Abs. 4 der evangelischen Kirchenbeitragsordnung vom 30. November 1956 (Amtsblatt für die evangelische Kirche A. und HB. in Österreich, Jahrgang 1957, S 49) und daher den Beschluß gefaßt, das Verfahren gemäß Art. 89 B.-VG. zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der angeführten Bestimmung der evangelischen Kirchenbeitragsordnung zu unterbrechen und beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 4 Abs. 4 der evangelischen Kirchenbeitragsordnung als gesetzwidrig aufzuheben.

Begründung:

Nach Art. 139 Abs. 1 B.-VG. ist der Verfassungsgerichtshof berufen, über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundesoder Landesbehörde zu erkennen. Es war daher zunächst zu prüfen, ob der zur Überprüfung beantragte § 4 Abs. 4 der Evangelischen Kirchenbeitragsordnung vom 30. November 1956, ABI. Nr. 20/1957 (KBO.), eine Bestimmung ist, der der Charakter einer Verordnung einer Bundes- oder Landesbehörde im Sinne des Art. 139 B.-VG. zukommt.

Der Verfassungsgerichtshof hat darüber erwogen:

Die Evangelische Kirche A. und H. B. in Österreich ist eine gesetzlich anerkannte Kirche. Nun bestimmt Art. 15 StGG., daß die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ihre inneren Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten. In den inneren Angelegenheiten der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist also den staatlichen Organen durch Art. 15 StGG. jede Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung genommen. In diesen Angelegenheiten ist die Tätigkeit der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften keine staatliche Tätigkeit im Sinne der Bundesverfassung ; ihre generellen und individuellen Akte sind nicht Verordnungen und nicht Bescheide im Sinne der Bundesverfassung. Die Organe einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft könnten nur dann als staatliche Behörde und ihre Akte nur dann als Verordnungen oder Bescheide angesehen werden, wenn und soweit ihnen eine Kompetenz in einer äußeren Angelegenheit übertragen ist; sie müßten dann je nach dem Gegenstand dieser äußeren Angelegenheit funktionell als Bundes- oder Landesbehörden und ihre Akte als Bundes- oder Landesvollzugsakte qualifiziert werden.

Es ist daher zu untersuchen, ob die 5. Generalsynode der Evangelischen Kirche A. und H. B. in Österreich bei Erlassung der Bestimmung des § 4 Abs. 4 KBO. am 30. November 1956 in einer inneren Angelegenheit der Kirche oder in einer ihr vom Staat übertragenen äußeren Angelegenheit tätig geworden ist.

Zu den inneren Angelegenheiten einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft zählt auch die Erhebung von Beiträgen zur Deckung ihres Sach- oder Personalbedarfes. Denn die Beschaffung der hiefür erforderlichen finanziellen Mittel ist eine Voraussetzung dafür, daß die Kirche oder Religionsgesellschaft überhaupt ihre inneren Angelegenheiten ordnen und verwalten kann. Wenn hiezu das Vermögen und freiwillige Spenden nicht ausreichen, ist die Erhebung von Beiträgen unvermeidlich. Es ist daher das Recht der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zur Erhebung von Beiträgen für die Deckung des mit der Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten verbundenen Sach- und Personalbedarfes ihnen institutionell mitgegeben. Die Erhebung solcher Beiträge ist daher selbst eine innere Angelegenheit. Sie bleibt es auch dann, wenn die so gewonnenen Mittel zur Besorgung von äußeren Angelegenheiten verwendet werden, die der gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft von Staats wegen zur Besorgung übertragen wurden. Denn die Regelung der Frage der Tragung der Kosten für die Besorgung solcher Angelegenheiten ist selbst eine äußere Angelegenheit, die aber die gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft nicht hindert, ihrerseits ohne gesetzliche, Verpflichtung diese Kosten aus ihren Mitteln zu tragen.

Die zur Prüfung beantragte Bestimmung des § 4 Abs. 4 KBO. bestimmt nun, daß die in glaubensverschiedener, jedoch nicht in gemischt-evangelischer Ehe (A. B. und H. B.) lebenden Angehörigen der Evangelischen Kirche die Hälfte jenes Kirchenbeitrages zu entrichten haben, der zu leisten wäre, wenn beide Ehegatten der evangelischen Kirche angehören würden. Diese Bestimmung regelt damit nur die Höhe des Kirchenbeitrages, den der der Evangelischen Kirche angehörige und demnach beitragspflichtige Ehegatte einer Mischehe seiner, nämlich der Evangelischen Kirche A. und H. B. zu entrichten hat. Sie berührt nicht die Beitragspflicht. Auch im Falle einer Zwangsvollstreckung auf Grund eines Gerichtsurteilen könnte nur in das Vermögen des beitragspflichtigen Ehegatten Exekution geführt werden. Diese Bestimmung überschreitet bei Normierung der Rechtspflicht der Beitragsleistung nicht den Kreis der Kirchenangehörigen. Sie ist daher als eine die inneren Angelegenheiten der Evangelischen Kirche betreffende Norm anzusehen. Sie ist somit ihrem Inhalt nach nicht als eine Norm anzusehen, der der Charakter einer Verordnungsnorm „einer Bundes- oder Landesbehörde” zukommt.

Die beteiligte Partei behauptet nun aber unter Hinweis auf das hg. Erk. Slg. Nr. 2195/1951, daß diese Bestimmung der Kirchenbeitragsordnung dadurch die Eigenschaft einer Verordnungsvorschrift einer Bundesbehörde gewonnen hat, daß sie gemäß § 3 Abs. 2 des Kirchenbeitragsgesetzes, GBl. f. d. L. Ö. Nr. 543/1939, (KBG.) die staatsaufsichtliche Genehmigung des Bundesministeriums für Unterricht erhalten hat. Dieser Auffassung kann aus folgenden Gründen nicht beigetreten werden:

Die Staatsaufsicht gegenüber den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist der Staatsaufsicht über die Selbstverwaltung vergleichbar. Auch dort ist für manche Akte der Selbstverwaltung die aufsichtsbehördliche Genehmigung vorgesehen. Durch eine solche aufsichtsbehördliche Genehmigung wird aber das Wesen des Aktes der Selbstverwaltung nicht verändert. Er bleibt ein Akt der Selbstverwaltung und wird nicht zu einem Akt der unmittelbaren Staatsverwaltung. Für den Bereich des Kirchenbeitragswesens gilt das gleiche; dies ergibt sich überdies aus der Bestimmung des § 1 KBG., der ausdrücklich von den von den Kirchen zu erlassenden Kirchenbeitragsordnungen spricht und damit zum Ausdruck bringt, daß die Kirchenbeitragsordnungen nach Auffassung des Gesetzgebers trotz der nach § 3 Abs. 2 KBG. erforderlichen staatsaufsichtlichen Genehmigung generelle Akte der Kirchen sind. Der von der beteiligten Partei bezogene Fall des hg. Erk. SIg. Nr. 2195/1951 lag insofern anders, als dort der Verfassungsgerichtshof deshalb das Vorliegen einer Verordnung einer staatlichen Behörde angenommen hat, weil die Absicht des Bürgermeisters von Wien auf einen Normsetzungsakt gerichtet war. Im vorliegenden Fall fehlt aber ein solcher Normsetzungswille des Bundesministers für Unterricht. Die staatsaufsichtliche Genehmigung im Sinne des § 3 Abs. 2 KBG. schafft nicht erst das Recht der Kirchen zur Einhebung von Kirchenbeiträgen. Sie bedeutet nur den staatlichen Ausspruch gegenüber der betreffenden Kirche, daß vom Standpunkt des Bundes aus gegen die Kirchenbeitragsordnung keine Bedenken bestehen. Sie stellt einen ausschließlich an die Kirche gerichteten Bescheid dar. Darüber hinaus hat sie keine Wirkungen. Sie sagt insbesondere nichts über die Gültigkeit und Verbindlichkeit der Kirchenbeitragsordnung gegenüber den Kirchenmitgliedern aus. Sie bindet daher auch in keiner Weise die Gerichte in der Frage der Verbindlichkeit der Kirchenbeitragsordnung gegenüber den Kirchenmitgliedern. Diese Verbindlichkeit ergibt sich vielmehr aus der Zugehörigkeit der Mitglieder zur betreffenden Kirche und ist daher ausschließlich nach den Rechtssätzen zu beurteilen, die die Rechtsverhältnisse der Mitglieder zu ihrer Kirche regeln. Somit ergibt sieh, daß die staatsaufsichtliche Genehmigung gemäß § 3 Abs. 2 KBG. die Rechtsnatur des § 4 Abs. 4 KBO. als eines rein innerkirchlichen Aktes nicht verändert hat.

Bei dieser Sachlage erübrigte es sich, zu untersuchen, ob das KBG. und insbesondere die Bestimmung seines § 3 Abs. 2 mit der bundesverfassungsgesetzlichen Regelung der Stellung der gesetzlich an-erkannten Kirchen und Religionsgesellschaften (Art. 15 StGG.) in Einklang steht und demnach überhaupt noch geltendes Recht ist oder ob diesem Gesetz und insbesondere seinem § 3 Abs. 2 durch das Wiederinkrafttreten des Art. 15 StGG. derogiert wurde. In jedem Falle erweist sich nämlich § 4 Abs. 4 KBO. als innerkirchliche Norm.

Dem § 4 Abs. 4 KBO. kommt nicht der Charakter einer „Verordnung einer Bundes- oder Landesbehörde” zu. Der Antrag des Landesgerichtes für ZRS. Wien war daher als unzulässig zurückzuweisen.