VfGH 7679

KFG 1967; keine Bedenken gegen § 103 Abs. 2; denkmögliche Anwendung im Hinblick auf § 9 Abs. 2 RAO (Verschwiegenheitspflicht)

Erk. v. 28. November 1974, B 213/74

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion L erließ gegen den bf. Rechtsanwalt am 11. März 1974 eine Strafverfügung, in der sie ihn einer dadurch begangenen Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. e StVO 1960 schuldig befand, daß er am 22. Feber 1974 um 17 Uhr seinen PKW im Haltestellenbereich eines Massenbeförderungsmittels abgestellt habe. In dem dagegen erhobenen Einspruch brachte der Bf. insbesondere vor, daß er nach einem Gerichtstermin noch eine dringende Erledigung gehabt und daher einen mit ihm befreundeten Klienten gebeten habe, mit seinem PKW weiterzufahren und diesen auf einem Parkplatz abzustellen. Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht verbiete es ihm, den Namen des Klienten zu nennen.

2. Der Bf., der am 21. März 1974 vor der Bundespolizeidirektion L niederschriftlich vernommen wurde, wurde unter Bezugnahme auf die Ausführungen in seinem Einspruch und unter Hinweis auf die Bestimmung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, den damaligen Fahrzeuglenker zu nennen. Er verweigerte dies jedoch und wies neuerlich auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht hin.

Die Bundespolizeidirektion L erkannte hierauf den Bf. mit Straferkenntnis vom 28. März 1974 einer Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 schuldig, da er bis zum 21. März 1974 seiner gesetzlichen Verpflichtung, den Lenker seines Fahrzeugs der Behörde namhaft zu machen, nicht nachgekommen sei; sie verhängte über ihn gemäß § 134 Abs. 1 leg. cit. eine Geldstrafe sowie eine Ersatzarreststrafe.

3. Der gegen das Straferkenntnis vom Bf. erhobenen Berufung gab der LH von 00 mit Bescheid vom 6. Juni 1974 keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides wurde unter Hinweis auf den Wortlaut des zweiten Satzes im § 103 Abs. 2 KFG 1967 im wesentlichen angeführt, es bestehe kein Zweifel, daß diese Bestimmung den Bf. verpflichte, der Behörde den Namen jener Person bekanntzugeben, der er sein Fahrzeug zur fraglichen Zeit zur Verfügung gestellt habe; daran ändere auch der Umstand nichts, daß diese Person ein Klient des Bf. sei, denn Abs. 2 erster Satz des in der Berufung zitierten § 9 RAO verpflichte den Rechtsanwalt (bloß) zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten. Worin nun in dem Umstand, daß der Bf. seinem Klienten seinen PKW zur Verfügung stellte, ein Anvertrauen einer Angelegenheit seitens der Partei an den Rechtsanwalt gelegen sein sollte, sei für die Berufungsbehörde unerfindlich.

4. Gegen den Bescheid des LH von OÖ richtet sich die auf Art. 144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der der Bf. behauptet, er sei „in seinen Rechten gemäß § 9 RAO, Art. 6 der Menschenrechtskonvention sowie Art. 8 Staatsgrundgesetz sowie in seinem Recht auf Gewissensfreiheit verletzt”.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Der Bf. beruft sich – wie schon im Verwaltungsverfahren – auf die Bestimmung des ersten Satzes im § 9 Abs. 2 RAO, wonach der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten verpflichtet ist. Er meint, daß sich die Verschwiegenheitspflicht auch auf solche Tatsachen erstrecke, die dem Rechtsanwalt nicht von der Partei selbst anvertraut wurden; der Rechtsanwalt verletze die Verschwiegenheitspflicht insbesondere dann, wenn er Umstände, die ihm durch seine Tätigkeit als Vertreter der Partei bekannt wurden, für eine Strafanzeige gegen diese Partei verwerte. Auf dem Boden dieses Standpunktes hält der Bf. die Verweigerung der Namensbekanntgabe für gerechtfertigt. Sie sei geschehen, um seinen Klienten vor der drohenden Bestrafung in einem Verwaltungsstrafverfahren zu bewahren; die Preisgabe des Namens wäre einer Strafanzeige gleichgekommen.

Dieses Vorbringen enthält nichts, was als Vorwurf der Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gedeutet werden könnte; es erschöpft sich in Argumenten, die lediglich den Nachweis erbringen sollen, daß die bel. Beh. die angeführte Bestimmung im § 9 Abs. 2 RAO unrichtig ausgelegt habe. Dies sowie die vom Bf. ausdrücklich aufgestellte Behauptung, er sei durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht gemäß § 9 RAO verletzt, zeigt, daß er insoweit eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides unter dem Gesichtspunkt eines von ihm angenommenen Verstoßes gegen eine einfachgesetzliche Vorschrift anstrebt, wozu jedoch nicht der VfGH, sondern ausschließlich der VwGH berufen ist.

2. Weiters behauptet der Bf. eine Verletzung des Art. 6 MRK, ohne jedoch anzuführen, worin er eine solche erblickt.

Es genügt hiezu die Feststellung, daß das Verwaltungsgeschehen keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Verletzung des geltendgemachten Grundrechtes (soweit es in Ansehung eines Verwaltungsstrafverfahrens überhaupt in Betracht kommt; vgl. z. B. Slg. 7210/1973) bietet.

III. 1. Der Bf. erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid ferner im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art. 8 StGG als verletzt und bringt dazu vor, daß er durch gesetzwidrig verhängte Strafen gezwungen werden solle, gesetzliche Verpflichtungen zu verletzen.

Nach der Rechtsprechung des VfGH (vgl. z. B. Slg. 5498/1967) kann das geltendgemachte Grundrecht durch einen Verwaltungsstrafbescheid nur verletzt werden, wenn damit eine Freiheitsstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung eines Gesetzes oder in Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verhängt wird. All dies trifft hier nicht zu. Aus der Sicht dieses Beschwerdefalles bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, Auch die Annahme der bel. Beh., daß der Bf. der Vorschrift des zweiten Satzes im § 103 Abs. 2 KFG 1967 zuwidergehandelt habe, ist ebenso denkmöglich wie ihre Auffassung, daß aus dem ersten Satz des § 9 Abs. 2 RAO für den Bf. ein Rechtfertigungsgrund nicht abgeleitet werden kann, da im Umstand, daß er seinem Klienten seinen PKW zur Verfügung stellte, kein Anvertrauen einer Angelegenheit seitens des Klienten an den Rechtsanwalt liege.

Der Bf. ist sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit offenkundig nicht verletzt worden.

2. Der Bf. meint schließlich, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, seinen Klienten der Behörde bekanntzugeben und lastet unter diesem Gesichtspunkt dem angefochtenen Bescheid eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG) an.

Auf dieses Vorbringen braucht der VfGH jedoch nicht näher einzugehen, da sich die durch Art. 14 StGG gewährleistete volle Glaubens- und Gewissensfreiheit nur auf religiöse Fragen bezieht (vgl. Slg. 7494/1975).

3. Auch die Verletzung eines anderen als der vom Bf. geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hat das Beschwerdeverfahren nicht ergeben. Die Beschwerde ist sohin abzuweisen.