VfGH 5007

Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen, GBI. f. d. Land Österreich Nr. 543/1939; /1939; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 3 Abs. 1, der weiterhin geltendes Recht ist. Die österreichische Verfassung verbietet nicht, die Entscheidung über öffentlich-rechtliche Verhältnisse den Gerichten zu übertragen. Eine gesetzliche Regelung, gemäß der der Staat einer Kirche seinen Beistand bei Einbringung von Kirchenbeiträgen einräumt, greift nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche ein. Art. XIV des Konkordates, BGBl. II Nr. 2/1934, und das Kirchenbeitragsgesetz schließen einander nicht aus; die Bestimmung des Zusatzprotokollen zu Art. XIV des Konkordates ist im Hinblick auf Art. II Abs. 4 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen, BGBl. Nr. 195/1960, nicht mehr geltendes Recht. Keine Verletzung des Rechtes auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter

Erk. v. 29. Juni 1965, B 67/65

Die Beschwerde wird abgewiesen und an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Entscheidungsgründe :

I. Dr. A. An. hat beim Magistrat der Bundeshauptstadt Wien den Antrag gestellt, bescheidmäßig auszusprechen: „Der Antragsteller als Angehöriger des glagolitischen Ritus der katholischen Kirche ist nicht verpflichtet, an die Erzdiözese Wien rit. lat. Kirchenbeiträge nach den Bestimmungen des Kirchenbeitragsgesetzes (der Kirchenbeitragsverordnung, der Kirchenbeitragsordnung) zu zahlen.” Der gegen die Zurückweisung dieses Antrages erhobenen Berufung ist vom Bundesminister für Unterricht mit Bescheid vom 16. Jänner 1965 keine Folge gegeben worden.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde des Dr. A. An.

II. Der Beschwerdeführer macht geltend, durch den bekämpften Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, dem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden, verletzt worden zu sein. Er ist der Meinung, die belangte Behörde habe die Zuständigkeit, über den Antrag zu entscheiden, rechtswidrigerweise abgelehnt. Die Regelung des § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchenbeiträgen, GBI. für das Land Österreich Nr. 543/1939 (in den weiteren Ausführungen kurz bezeichnet: KBG.), gelte nicht mehr. Ihr sei durch die Bestimmungen des Art. XIV des Konkordates, BGBl. II Nr. 2/1934, und die Bestimmungen des Zusatzprotokolles zu diesem Art. XIV derogiert worden, die durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen, BGBl. Nr. 195/1960 (im folgenden kurz bezeichnet: Vermögensvertrag 1960), „ex novo wirksam” geworden seien. Nach den zitierten Bestimmungen des Zusatzprotokolles seien nun aber die Behörden der staatlichen Kultusverwaltung im ordentlichen Instanzenzug zur Entscheidung über Streitigkeiten betreffend Verpflichtungen zu Leistungen an Geld zuständig, wenn die Leistung aus dem allgemeinen Grund der Zugehörigkeit zu einem kirchlichen Verband in Anspruch genommen wird.

Hierüber hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Durch das Rechts-Überleitungsgesetz ist im Jahre 1945 die Bestimmung des § 3 Abs. 1 KBG. Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung geworden. Gemäß dieser Gesetzesstelle werden die Kirchenbeiträge von den im § 1 genannten Kirchen festgesetzt und erhoben; die Entscheidung über Kirchenbeitragsstreitigkeiten wird den Gerichten zugewiesen (vgl. Erkenntnis Slg. Nr. 3039/1956). Alle anderen Verpflichtungen, soweit sie nicht auf privaten Patronaten oder auf Privatrechtstiteln beruhen, sind aufgehoben worden; alle dem KBG. entgegenstehenden Bestimmungen haben zu bestehen aufgehört (§§ 5 und 6 KBG.). Die Kirchenbeiträge sind dann auch tatsächlich danach erhoben worden.

An dieser Rechtslage hat sich bis zum Abschluß des Vermögensvertrages 1960 nichts geändert. Die Regelung des Art. II Abs. 4 des Vermögensvertrages 1960 besagt nun, daß „die Kirchenbeiträge” weiter eingehoben werden; es handelt sich dabei um die Kirchenbeiträge gemäß dem KBG. Dies ergibt sich allein schon aus dem Wortlaut der Bestimmung im deutschen Text des Vertrages. Den Begriff „Kirchenbeiträge” hat es nämlich in der früheren österreichischen Rechtsordnung nicht gegeben. Die frühere österreichische Rechtsordnung kannte nur den Begriff „Umlagen” (vgl. Art. XIV des Konkordates; § 36 des Gesetzes RGBI. Nr. 50/1874 in Verbindung mit dem Gesetz RGBI. Nr. 7/1895). Dazu kommt, daß durch den bestimmten Artikel „die” vor „Kirchenbeiträge” unterstrichen wird, daß jene Kirchenbeiträge „weiter” eingehoben werden, die bereits nach der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegebenen Rechtslage einzuheben waren. Es muß schließlich auch noch angenommen werden, daß die Regelung des Art. II Abs. 4 des Vermögensvertrages 1960 anders gefaßt worden wäre, sollte damit die bestehende Rechtslage verändert und nicht bloß zum Ausdruck gebracht werden, daß hinsichtlich der Kirchenbeiträge eine Änderung durch den Vertrag nicht herbeigeführt wird. § 3 Abs. 1 KBG. ist demnach weiterhin geltendes Recht.

2. An dieser Feststellung vermag die Behautpung des Beschwerdeführers, Art. 15 StGG. habe dem § 3 Abs. 1 KBG. im Jahre 1945 derogiert, nichts zu ändern. Entgegen der damit zum Ausdruck gebrachten Meinung des Beschwerdeführers greift nämlich eine gesetzliche Regelung, gemäß der der Staat einer Kirche seinen Beistand bei Einbringung von Kirchenbeiträgen einräumt, nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche ein. Es liegt bei der Kirche, von der Möglichkeit, die Hilfe des Staates in Anspruch zu nehmen, Gebrauch zu machen oder nicht. Nimmt die Kirche die staatliche Hilfe in Anspruch, so handelt sie nicht in ihrem inneren Bereich sondern außerhalb desselben (vgl. Slg. Nr. 3816/1960). Schon allein aus diesem Grunde kann die vermeintliche Derogation nicht Platz gegriffen haben.

3. An der unter Z. 1 getroffenen Feststellung ändert weiters der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Bestimmungen des Art. XIV des Konkordates und die entsprechenden Bestimmungen des Zusatzprotokolles nichts.

Art. XIV des Konkordates, gemäß der der Kirche das Recht zur Einhebung von Umlagen grundsätzlich zukommt, wobei die Kirche im Einvernehmen mit der Staatsgewalt vorzugehen hat, und das KBG. schließen nämlich einander nicht aus.

Die Bestimmung des Zusatzprotokolles zu Art. XIV des Konkordates, enthaltend die Zustimmung der Kirche, daß Streitigkeiten über Verpflichtungen zu Leistungen an Geld- oder Geldeswert für Kultuszwecke, wenn eine solche Leistung aus dem allgemeinen Grund der Zugehörigkeit zu einem kirchlichen Verband in Anspruch genommen wird „bis zu einer einvernehmlichen Neuregelung” von den Behörden der staatlichen Kultusverwaltung entschieden werden, ist aber schon zumindest deswegen nicht mehr geltendes Recht, weil durch Art. II Abs. 4 des Vermögensvertrages 1960 die im Zusatzprotokoll vorgesehene einvernehmliche Neuregelung nunmehr jedenfalls erfolgt ist (vgl. die Ausführungen unter Z. 1).

4. Bedenken, daß § 3 Abs. 1 KBG. deswegen verfassungswidrig sein könnte, weil — wie der Beschwerdeführer meint. — die Entscheidung über öffentlichrechtliche Verhältnisse (um solche handle es sich hier) nicht den Gerichten übertragen werden dürfte, sind nicht entstanden. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers enthält nämlich die österreichische Verfassung kein solches Verbot.

5. Es gibt somit keine die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Sachentscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers begründende gesetzliche Vorschrift. Es gilt vielmehr die Vorschrift des § 3 Abs. 1 KBG., gegen die verfassungsrechtliche Bedenken nicht entstanden sind.

Der Antrag des Beschwerdeführers ist demnach zu Recht zurückgewiesen worden. Also wurde der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt. Sonst hat der Beschwerdeführer nichts vorgebracht. Das Verfahren hat die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht ergeben.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.