VfGH 5555

Verordnung des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 29. September 1905, RGBL Nr. 159, womit eine definitive Schul- und Unterrichtsordnung für allgemeine Volksschulen und für Bürgerschulen erlassen wird; zum Inhalt des § 90 Abs. 1 Z. 2; diese Vorschrift steht — auch soweit es sich um die Worte „Religionsbekenntnis” handelt — außerhalb jedes Zusammenhanges mit Art. 14 StGG., Art. 63 Abs. 2 und Art. 67 des Staatsvertrages von St. Germain oder Art. 9 Abs. 1 und 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Keine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Religions- und Bekenntnisfreiheit oder der Freiheit zur Ausübung einer Weltanschauung

Erk. v. 27. September 1967, B 168/67

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Entscheidungsgründe:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Unterricht vom 22. März 1967 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Eintragung der Bezeichnung „Gotterkenntnis (Ludendorff)” als religiöses Bekenntnis in die Schulzeugnisse seiner Kinder Almuth, Elke, Wieland und Gunhild S. gemäß § 90 der definitiven Schul- und Unterrichtsordnung, RGBL Nr. 159/1905, abgewiesen.

Diesen Bescheid ficht Walther S. als Vater und gesetzlicher Vertreter seiner genannten ehelichen Kinder wegen Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG.), der Art. 63 Abs. 2 und 67 des Staatsvertrages von St. Germain und des Art. 9 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. Nr. 210/1958 und BGBl. Nr. 59/1964) an.

Hierüber hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

Nach Art. 14 StGG. ist die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, insofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines anderen untersteht.

Art. 63 Abs. 2 des Staatsvertrages von St. Germain bestimmt, daß alle Einwohner Österreichs das Recht haben, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Nach Art. 67 dieses Staatsvertrages genießen österreichische Staatsangehörige, die einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache angehören, dieselbe Behandlung und dieselben Garantien, rechtlich und faktisch, wie die anderen österreichischen Staatsangehörigen; insbesondere haben sie dasselbe Recht, auf ihre eigenen Kosten Wohltätigkeits-, religiöse oder soziale Einrichtungen, Schulen und andere Erziehungsanstalten zu errichten, zu verwalten und zu beaufsichtigen, mit der Berechtigung, in denselben ihre eigene Sprache nach Belieben zu gebrauchen und ihre Religion frei zu üben.

Nach Art. 9 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten hat jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Nach Abs. 2 darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

Nach § 90 Abs. 1 Z. 2 der Verordnung des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 29. September 1905, RGBl. Nr. 159, womit eine definitive Schul- und Unterrichtsordnung für allgemeine Volksschulen und für Bürgerschulen erlassen wird, hat die Schulnachricht, „den Vor- und Zunamen, die Geburtsdaten und das Religionsbekenntnis des Schulkindes” zu enthalten.

Diese Vorschrift steht außerhalb jeden Zusammenhanges mit den genannten verfassungsrechtlichen Vorschriften. Ihr Bestehen ist kein Ausfluß von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und ein Fehlen dieser Vorschrift würde keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht Abbruch tun. Durch den angefochtenen Bescheid wird die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Religions- und die Bekenntnisfreiheit und die Freiheit zur Ausübung einer Weltanschauung in keiner Weise berührt. Zur Debatte steht lediglich, ob die Behörde den Begriff „Religionsbekenntnis”, den die Schul- und Unterrichtsordnung verwendet, richtig ausgelegt hat. Wenn man annimmt, daß diese Vorschrift überhaupt ein subjektives öffentliches Recht gewährt, dann hätte die Behörde, wenn sie den Ausdruck „Religionsbekenntnis” unrichtig ausgelegt hätte, nur ein einfachgesetzliches Recht verletzt. Diese Angelegenheit reicht in die Verfassungssphäre nicht hinein.

Es besteht daher kein Anlaß, Erörterungen über die Rechtsstufenqualität der Verordnung — einige ihrer Bestimmungen sind durch das Schulpflichtgesetz, BGBl. Nr. 241/1962 (§ 29 Abs. 2 lit. b), aufgehoben worden — anzustellen. Weil es sich nur um einfachgesetzliche Fragen handelt, ist es auch nicht von Belang, ob eine Vorschrift über den Inhalt eines Zeugnisses eine Angelegenheit der „inneren Ordnung” ist, was wohl die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsstelle zur Folge hätte, oder ob die angeführte gesetzliche Grundlage nicht hinreicht, die Verordnung zu rechtfertigen. Aus dem gleichen Grunde hatte sich der Verfassungsgerichtshof nicht mit dem Erlasse des Staatsamtes für Inneres vom 14. Dezember 1945, Zl. 48.124-9/1945, dem Erlasse des Bundesministeriums für Inneres vom 22. Juni 1946, Zl. 32.537-9/1946, und vom 23. Jänner 1954, Zl. 20.328-9/1954 (vgl. Klecatsky-Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 96 bis 99), die die Darlegung des Begriffes „Religiöses Bekenntnis” zum Inhalt haben, auf ihre inhaltliche Richtigkeit (Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften) zu prüfen.

Es ist offenbar, daß durch den angefochtenen Bescheid kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt wurde. Es konnte daher ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung die Abweisung der Beschwerde beschlossen werden (§§ 19 Abs. 4 Z. 1 und 31 VerfGG. 1953 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 185/1964).