VfGH 5583

Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse, RGBL Nr. 49/1868; diese Vorschrift ist im Jahre 1939 außer Kraft getreten (Verordnung über die Einführung des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung im Lande Österreich, GBI. für das Land Österreich Nr. 377/1939); unter „Religion” oder „Religionsbekenntnis” im Sinne des Art. 1 und 2 ist auch die Konfessionslosigkeit zu verstehen. Durch eine gesetzwidrige bescheidmäßige Feststellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche wird das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG.) verletzt. Verletzung des Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit

Erk. v. 9. Oktober 1967, B 122/67

Der Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

A. Der Beschwerdeführer ist am 14. Juni 1924 als Kind konfessionsloser Eltern in Wien geboren worden. Er ist am 27. Februar 1934 in der röm. kath. Pfarre R. in Wien nach röm. kath. Ritus getauft worden. Im Jahre 1946 wurde er in der Pfarre W. in Wien nach röm. kath. Ritus getraut. Am 24. August 1966 hat der Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien die Erlassung eines Feststellungsbescheides über seine Religionszugehörigkeit beantragt. Die Erzdiözese Wien der röm. kath. Kirche habe gegen ihn bei Gericht eine Klage betreffend die Zahlung rückständiger Kirchenbeiträge eingebracht. Er, der Beschwerdeführer, betrachte sich aber als konfessionslos.

Der Magistrat der Stadt Wien hat mit Bescheid vom 29. Dezember 1966 festgestellt, daß der Beschwerdeführer der röm. kath. Kirche nicht angehört. Dagegen hat die Erzdiözese Wien berufen. Der Bundesminister für Unterricht hat mit Bescheid vom 27. Februar 1967 den erstinstanzlichen Bescheid abgeändert und ausgesprochen:

„Gemäß Art. 6 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, RGBL Nr. 49, wodurch die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden, wird in Verbindung mit den bis zum 28. Februar 1939 geltenden Art. 1 und 2 des zitierten Gesetzes (vgl. § 3 der Verordnung vom 1. März 1939 über die Einführung des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung im Lande Osterreich, GBI. für das Land Osterreich Nr. 377/1939) festgestellt, daß Dr. Walter D. seit 27. Februar 1934 mit Wirkung für den staatlichen Bereich der römisch-katholischen Kirche angehört.”

Dagegen richtet sich die Beschwerde.

B. Die Legitimation zur Beschwerdeführung ist — entgegen der Meinung der belangten Behörde — gegeben. Es ist nämlich keineswegs ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in irgendeinem subjektiven Recht — es muß dies kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes sein — verletzt worden sein kann; nur darauf kommt es aber an (vgl. die langjährige Rechtsprechung; z. B. Erk. Slg. Nr. 3425/1958, 4305/1962).

C. I. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG.) verletzt worden zu sein.

Hierüber hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Im Gesetz vom 25. Mai 1868, RGBL Nr. 49, wodurch die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden, lauteten die beiden ersten Artikel:

„Art. 1. Eheliche oder den ehelichen gleichgehaltene Kinder folgen, sofern beide Eltern demselben Bekenntnisse angehören, der Religion ihrer Eltern.

Bei gemischten Ehen folgen die Söhne der Religion des Vaters, die Töchter der Religion der Mutter. Doch können die Ehegatten vor oder nach Abschluß der Ehe durch Vertrag festsetzen, daß das umgekehrte Verhältnis stattfinden solle, oder daß alle Kinder der Religion des Vaters oder alle der der Mutter folgen sollen.

Uneheliche Kinder folgen der Religion der Mutter.

Im Falle keine der obigen Bestimmungen Platz greift, hat derjenige, welchem das Recht der Erziehung bezüglich eines Kindes zusteht, das Religionsbekenntnis für solches zu bestimmen.

Reverse an Vorsteher oder Diener einer Kirche oder Religionsgenossenschaft oder an andere Personen über das Religionsbekenntnis, in welchem Kinder erzogen und unterrichtet werden sollen, sind wirkungslos. Art. 2 Das nach dem vorhergehenden Artikel für ein Kind bestimmte Religionsbekenntnis darf in der Regel so lange nicht verändert werden, bis dasselbe aus eigener freier Wahl eine solche Veränderung vornimmt. Es können jedoch Eltern, welche nach Art. 1 das Religionsbekenntnis der Kinder vertragsmäßig zu bestimmen berechtigt sind, dasselbe bezüglich jener Kinder ändern, welche noch nicht das siebente Lebensjahr zurückgelegt haben.

Im Falle eines Religionswechsels eines oder beider Elternteile, bzw. der unehelichen Mutter, sind jedoch die vorhandenen Kinder, welche das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in betreff des Religionsbekenntnisses ohne Rücksicht auf einen vor dem Religionswechsel abgeschlossenen Vertrag so zu behandeln, als wären sie erst nach dem Religionswechsel der Eltern, bzw. der unehelichen Mutter geboren worden.

Wird ein Kind vor zurückgelegtem siebentem Jahre legitimiert, so ist es in betreff des Religionsbekenntnisses nach Art. 1 zu behandeln.-

Diese Vorschrift ist erst im Jahre 1939 außer Kraft getreten (Verordnung über die Einführung des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung im Lande Österreich, GBL für das Land Osterreich Nr. 377/ 1939). Der bekämpfte Bescheid ist also — soweit es dabei um die Feststellung damaliger Rechtsverhältnisse geht — an Art. 1 und 2 leg. cit. zu messen.

2. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer — wohl im Hinblick auf den oben wiedergegebenen ersten Absatz des Art. 1 leg. cit. — bis zur Taufe im Jahre 1934 konfessionslos gewesen ist. Durch die Taufe sei der Beschwerdeführer aber — auch mit Wirksamkeit für den staatlichen Bereich —Angehöriger der röm. kath. Kirche geworden. Der Ausdruck „Das Religionsbekenntnis … ändern” im Art. 2 erster Absatz des Gesetzes über die interkonfessionellen Verhältnisse habe denselben Inhalt wie der Ausdruck „Religionswechsel” im zweiten Absatz des zitierten Art. 2. Nur ein Religionswechsel werde also durch Art. 2 für Kinder ab der Vollendung des siebenten Lebensjahres ausgeschlossen. Der Eintritt einer Person, die bisher immer konfessionslos gewesen ist, in eine gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft sei kein Religionswechsel. Hier habe der Vater des Beschwerdeführers einer, wenn auch sanktionslosen, gesetzlichen Verpflichtung, nämlich der Verpflichtung zur Religionsbestimmung nach § 139 ABGB. genügt. Diese Verpflichtung sollte schon nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes über die interkonfessionellen Verhältnisse durch dessen Art. 2 Abs. 1 niemals inhibiert werden. Dieser Meinung vermag der Verfassungsgerichtshof aus den in den nachstehenden Ausführungen dargelegten Gründen nicht beizupflichten.

a) Das Wort „Religionsbekenntnis” im Art. 2 leg. cit. hatte keinen anderen Inhalt als dasselbe Wort im Art. 1 leg. cit.; denselben Inhalt hatten aber auch die Worte „Bekenntnis” und „Religion” im Art. 1.

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der in den Art. 1 und 2 getroffenen Regelung, die ein einheitliches Ganzes war.

b) Unter „Religion” oder „Religionsbekenntnis” im Sinne dieser Regelung ist auch die Konfessionslosigkeit zu verstehen.

Dies ist vor allem aus dem Zweck der Regelung zu erschließen, den Status der Kinder in Beziehung auf das Religionsbekenntnis zur Gänze zu ordnen. Dazu gehört notwendigerweise nicht nur die Zugehörigkeit zu einer durch ein konkretes religiöses Bekenntnis bestimmten Gruppe von Menschen, sondern auch die Zugehörigkeit zu der durch die Verneinung jeglichen religiösen Bekenntnisses bestimmten Gruppe.

Andernfalls hätte das Gesetz einen dem Art. 14 StGG. widersprechenden Inhalt gehabt. Es wären sonst z. B. die konfessionslosen Eltern gemäß dem vierten Absatz des Art. 1 gezwungen gewesen, für ihr Kind entgegen ihrer Überzeugung ein konkretes Religionsbekenntnis zu bestimmen. Dem Gesetz kann daher ein solcher Inhalt nicht beigemessen werden.

Die getroffene Feststellung wird außerdem noch durch den Umstand unterstrichen, daß andernfalls in der Regelung sachlich nicht begründbare Differenzierungen gelegen wären, die bewirkt hätten, daß die Vorschrift im Hinblick auf das Gleichheitsgebot verfassungswidrig gewesen wäre. Es hätte z. B. zwar für ein konfessionsloses Kind nach Vollendung des siebenten Lebensjahres ein bestimmtes Religionsbekenntnis gewählt werden können; es dürfte aber ein einer Religion angehörendes Kind zwischen der Vollendung des siebenten und des vierzehnten Lebensjahres nicht aus der Religion austreten, also auch zu keiner anderen überwechseln. Auch aus diesem Grund muß die Vorschrift so, wie oben umschrieben, ausgelegt werden.

c) Daraus ergibt sich, daß der Beschwerdeführer von Geburt an konfessionslos war und daß die Taufe im Jahre 1934— der Beschwerdeführer hätte damals wohl bereits das siebente Lebensjahr, nicht aber auch schon das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt — gemäß Art. 2 leg. cit. ohne Wirkung für den staatlichen Bereich geblieben ist.

d) Die vorstehenden Ausführungen entsprechen der seinerzeitigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes.

So geht z. B. aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes SIg. Nr. 797/1927 hervor, daß die „Abkehr von jeder in religionsgenossenschaftlichem Verbande sichtbar in Erscheinung tretenden Ideengemeinschaft in Weltanschauungsfragen … bei Anwendung des Art. 2 Abs. 2 des 1868iger Gesetzes gleichzuwerten” ist dem „Bekenntnis zu einer positiven Religion”. Im Erk. SIg, Nr. 800/1927 heißt es, um ein weiteres Beispiel zu zitieren: „Der Glaube an die Lehre einer Religion setzt die Fähigkeit voraus, diese Lehren geistig zu fassen; diese Erkenntnis kann nur allmählich mit der Entwicklung des Verstandes und der Vernunftskräfte des Einzelnen vor sich gehen, und da auch das Gewissen als Richtschnur des menschlichen Handelns erst beim vernünftig denkenden Menschen eingreift, kann das Kind erst dann das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit betätigen, wenn es in ein Alter gekommen ist, das bei normaler Entwicklung seiner geistigen Fähigkeit ihm die Urteilsfähigkeit gegeben hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine selbständige Ausübung des Rechtes der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht möglich; rechtsgültige Verfügungen über die konfessionellen Verhältnisse der Kinder sind nur insoweit zulässig, als das Gesetz selbst Bestimmungen getroffen und gewissen Personen (Eltern und Erziehungsberechtigten) ein Recht hiezu eingeräumt hat. Daß dieses Recht, namens der Kinder rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben — das übrigens auch auf anderen Rechtsgebieten kein unbeschränktes ist —auch auf diesem Gebiete nicht unbeschränkt sein kann, ergibt sich schon daraus, daß die Betätigung der eigenen vollen Freiheit auf dem Gebiete religiöser Überzeugungen vermöge des höchstpersönlichen Charakters dieser Rechte keineswegs als Betätigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Kindes aufgefaßt werden kann und nicht die Verfügungsfreiheit über das Bekenntnis des Kindes umfaßt, sondern nur so weit besteht und so weit reicht, als das Gesetz bestimmt … Im Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren soll die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Kindes schon aus Rücksichten der Erziehung im Interesse der Religionsfreiheit geschützt werden, u. zw. nötigenfalls auch gegenüber den Eltern, wenn diese durch Zwang in die konfessionelle Einstellung ihrer Kinder durch die in ihrer Vertretung abgegebenen Erklärungen eingreifen wollten.”

Es beruhen weiters u. a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 13.429 A/1924, 14.729 A/1927 und 16.712 A/1931 auf der Feststellung, daß der Übertritt zur Konfessionslosigkeit auchein Religionswechsel im Sinne der in Rede stehenden Vorschriften des Gesetzes aus dem Jahre 1868 ist.

Allen diesen Erkenntnissen liegt — ausgesprochen oder unausgesprochen — die Annahme zugrunde, daß auch die Konfessionslosigkeit als Religion im Sinne der genannten Gesetzesstelle anzusehen ist.

Rechtsirrig wäre es, diese Annahme nur für einen bestimmten Teil der in den oben wiedergegebenen Art. 1 und 2 enthaltenen Regelung gelten zu lassen.

Gerade das hat aber die belangte Behörde getan. Sie ist nämlich davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer offenbar im Hinblick auf die Konfessionslosigkeit seiner Eltern von Geburt aus konfessionslos war; sie ist also davon ausgegangen, daß . seinerzeit eine Norm existierte, die besagte, daß Kinder konfessionsloser Eltern der Konfessionslosigkeit der Eltern folgen, wie sie ansonsten der Religion der Eltern folgen. Diese Norm kann nur in Art. 1 erster Satz leg. cit. gefunden, bzw. — falls eine Gesetzeslücke als gegeben angenommen wird — nur aus dieser Gesetzesstelle abgeleitet werden. Diesbezüglich wurden also „Religion” und „Konfessionslosigkeit” gleichgehalten. Damit unvereinbar ist die belangte Behörde aber dann zur Annahme gekommen, im Bereiche des Art. 2 leg. cit. seien „Religion” und „Konfessionslosigkeit” nicht gleichzuhalten.

e) An der getroffenen Feststellung vermag der Hinweis der belangten Behörde auf § 139 ABGB. nichts zu ändern. Aus dieser Gesetzesstelle ist nämlich für die hier in Rede stehende Frage (Bestimmung der Religionszugehörigkeit) nichts zu gewinnen.

3. Der Beschwerdeführer ist seit Vollendung seines vierzehnten Lebensjahres niemals rechtswirksam der röm. kath. Kirche beigetreten. Gegenteiliges wurde im Verfahren nicht behauptet. Insbesondere wurde weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof behauptet, der Beschwerdeführer habe durch seine kirchliche Trauung im Jahre 1946 einen Kirchenbeitritt vollzogen.

4. Der Beschwerdeführer gehört demnach der röm. kath. Kirche nicht an. Die gegenteilige Feststellung der belangten Behörde ist gesetzwidrig.

5. Durch eine gesetzwidrige bescheidmäßige Feststellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche wird aber das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG.) verletzt.

Allein schon aus diesem Grunde war der bekämpfte Bescheid aufzuheben.